Samstag, Oktober 14, 2006

Aids-Test an Diskotheken

Ein großer, gut gebauter Traummann mit strahlenden, schwarzen Augen kommt geradewegs auf mich zu. Sein Lächeln ist nicht gespielt und ich irre mich nicht, er sieht mich direkt an. Und bevor ich überhaupt noch die Frage, warum er auf mich aufmerksam wurde, zu Ende denken kann, ist er schon bei mir: „Hi! Lust auf einen Aids-Test?“

So oder so ähnlich könnten sich Tokios Disco-Besucher fühlen, wenn Sie von einem von Doktor Tsuneo Akaedas Mitarbeitern angesprochen werden. Den japanischen Gynäkologen könnte man fast einen Revolutionär nennen. Er wagt das, was bei der Gesundheitsbehörde seines Landes anscheinend nicht reibungslos funktioniert – nämlich geradewegs und offen mit dem Thema Aids umzugehen. Mit seinem vor Diskotheken aufgebauten Zelt, in denen er den Jugendlichen kostenlose Aids-Test anbietet, versucht er sowohl die Gesellschaft, als auch die Teenager selbst aufzuklären und dazu zu bringen sich bewusster mit dem Thema Geschlechtsverkehr und den verbundenen Krankheiten auseinanderzusetzen. In Japan ist nämlich nach wie vor tabu, dass Jugendliche seitens der Eltern oder der Schule aufgeklärt werden.

Dennoch ist es eine Tatsache, dass sie (genauso wie überall auf der Welt) sexuell aktiv sind, aber keinen blassen Schimmer über Verhütung und lauernde Gefahren haben.

In Tokio spielt es sich so ab, dass die Gynäkologen zu den Teenagern kommen, da sie wissen, dass sie selber nicht zu ihnen kommen würden. Die Gründe liegen klar auf der Hand, erstmals der Preis – rund 60 Euro kostet ein solcher Test – und dann natürlich der Druck und die Angst vor dem Ergebnis oder auch der Glaube, dass es einem selber nicht widerfahren könnte. Aber halt! Kommt uns das nicht etwa bekannt vor?

In Österreich sind wir, wage ich zu behaupten, relativ weit und ausführlichst aufgeklärt. Unabhängig ob das jetzt durch die Eltern, Mitschüler, Lehrer oder die „Bravo“ geschehen ist. Trotzdem haben Jugendliche hier dieselben Ängste und Befürchtungen. Das Thema wird freier behandelt, als wie sonst irgendwo auf der Welt, und jeder hat schon viel über den nötigen Schutz vor solchen Krankheiten gehört. Warum handeln aber „unsere“ Teenager trotz aller Vorsichtsmaßnahmen von Seiten des Staates, wie auch der Medien und Eltern, so unvernünftig, dass sie jede Aids-Statistik schlagen? Ist es die Neugier, die sie so unverantwortlich handeln lässt? Der Druck der Gleichaltrigen, die Sex kaum mehr als Liebe, sondern als Wettbewerb eines Sportes ansehen?

Die Dunkelziffer der jeweiligen HIV-Positiven und Aids-Kranken ist klarerweise weit höher und sehr schwierig zu bemessen. Natürlich kann man nicht mit Sicherheit sagen, dass hier mehr Infizierte sind als in anderen Ländern, aber dennoch weisen auch Statistiken in eine gewisse Richtung.

Einer der großen Unterschiede liegt darin, dass hier Sex eine Art Massenware ist. In vielen, prüderen Ländern ist Pornographie, Prostitution oder die öffentliche Zurschaustellung nackter Körperteile mit sehr hohen Strafen verbunden. Natürlich möchte ich mich hier nicht dafür aussprechen, Frauen im Bikini zu steinigen, aber ich frage mich manchmal warum man um 10 Uhr vormittags schon Brüste im Fernsehen sehen muss.

Sex sells – ein bekanntes Motto der Wirtschaft. Aber ist ein Ausverkauf nicht eine Ausbeutung, die die Jugendlichen magisch anzieht und das Ergebnis genauso wie beim Alkohol eine regelrechte Sucht oder zumindest maßlose Übertreibung wird?

Lust und Genuss sind in unserer Gesellschaft mittlerweile die einzigen übrig gebliebenen Helden des Alltags. Wir feiern Paris Hilton, deren Lebensinhalt allein im Partymachen steht. Zeigt dieser Vergleich nicht schon genug, wie verwerflich und arm eigentlich die Moral unserer Generation ist?

Mit dieser Einstellung wundert es mich nicht, dass sich sehr viele junge Menschen auf so viele Sexualpartner wie möglich einlassen, weil sie vielleicht glauben etwas von diesem „Spaß“ und diesen Erfahrungen zu verpassen.

Ich persönlich bin der Meinung, dass Erotik etwas Wunderschönes ist, aber man es ausschließlich mit einem wirklich besonderen Menschen genießen kann und soll. Das Vertrauen ist die Grundlage einer funktionierenden Beziehung. Aber vielleicht sollten wir uns klar werden, dass gerade der Mensch, den wir so sehr an uns heranlassen eine solche Gefahr in sich birgt. Deswegen ist es notwendig sich wirklich bewusst zu werden, welches Risiko wir eingehen, auch wenn wir nur auf der Suche nach Spaß sind.



Autor: Team Nelly & Changi