Donnerstag, Mai 18, 2006

Böses Erwachen

Wie viele Nächte bist Du wach gelegen,
und alles nur wegen mir?
Du dachtest, ich wäre für Dich ein Segen,
Du könntest Dich unbekümmert bewegen
in meinem Revier...
Doch jetzt liegst Du hier
und kannst Dich vor Kummer kaum mehr regen.

Du hast nichts gesagt, hast stumm geweint,
Tränen, sie trocknen so schnell.
Und waren wir dann in Liebe vereint,
hast Du all Deine Wunden strahlend verneint.
Mit mir warst Du hell
(wenn auch manchmal zu grell).
Doch es ist nicht alles Sonne, was scheint.

Ich wollte Dir niemals Schmerzen bereiten
und stellte mich einfach blind.
Nur zu gern ließ ich mich von Dir verleiten
in unsrer Geschichte nur jene Seiten
zu lesen, die sind,
wie man sie sich als Kind
gern vorstellt, und sorglos nach vorn zu schreiten.

Lange hielten sie sich nie

Lange hielten sie sich nie,
sie waren nur für den Augenblick
geschaffen und verschafften sich
ein wenig Glück.

Doch wenn sie sich hielten, dann hielten sie fest
aneinander und ließen die Welt außen vor,
und was sie da hielten, war ihnen egal,
so lange, bis einer den andren verlor.

Nein, lange hielten sie sich nie,
und wie sie sich hielten, kann keiner verstehen,
der nicht schon versucht hat, verzweifelt sich an
vergängliches Glück zu halten.



Epilog: "Warum halten sich Menschen so oft über die Zeit an Beziehungen fest?" frage ich niemand besonderen. Aber da ich an Schimmel, meinem Klavier sitze und vor mich hinspiele, fühlt er sich natürlich angesprochen und berufen, mir zu antworten. Mit einer Frage, wie das so seine Art ist.
"Wie zum Akkord kommst Du jetzt auf diese Frage?" fragt er mich, etwas irritiert, fast schon genervt. Ich sitze in letzter Zeit viel zu selten an ihm, und da mag er es gar nicht, wenn dann auch noch meine Gedanken von ihm wegdriften. Das verstimmt ihn noch mehr, als er es ohnehin schon ist.
"Tja," sage ich, schaue auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. "Um die Zeit werde ich gerne etwas philosophisch. Weiß auch nicht warum."
"Kein aktuellen Beispiel, was Dich grad auf den Gedanken bringt?" fragt Schimmel neugierig. Auf seine Neugierde ist verlass, er kommt selten raus und ist immer an Klatsch und Tratsch und kleinen Episoden über die Menschen da draußen interessiert, diese seltsamen Fleischlichen und ihre noch seltsameren Spiele. Sie faszinieren ihn irgendwie, so wie eine Melodie mit vielen Dissonanzen, die trotzdem, oder gerade deshalb, so zauberhaft klingt.
Ich denke nach, eine Weile, schweigsam, nur meine Finger sprechen mit Schimmels Tasten.
"Nein, nichts konkretes. Ich meine, ich sehe das immer wieder. Wie zwei sich trennen und es dann doch noch mal miteinander versuchen, nur um dann zu lernen, dass aufgewärmtes Essen nicht wirklich besser oder anders schmeckt als frisch gekochtes. Oder jene, die aneinander festhalten, weil sie schon so viel in die Beziehung oder den anderen investiert haben und nicht einsehen wollen, dass die Rechnung nie aufgehen wird, egal, wie viel sie noch reinstecken."
"Und du," fragt Schimmel, "hattest du das nie? Den Wunsch, es mit einem Menschen noch einmal oder weiter zu versuchen, auch, wenn es gerade mal nicht klappt?"
Ich denke an die Momente, in denen mein Herz liebte mit allem, was es ist, was ich bin, und noch ein wenig mehr. So sehr, dass es fast weh tat, und weiter, über den Horizont der Vernunft hinaus.
"Doch, natürlich", gestehe ich ein. "Aber ich wusste auch, dass es keinen Sinn hätte."
"Ach," sagt Schimmel, verwundert, "und wenn heute so ein Mensch vor deiner Tür stände und dich um eine zweite Chance bitten würde, dann würdest du ihn nicht hineinbitten mit einem dicken fetten Grinsen im Gesicht?"
Es ist manchmal frustrierend, wenn das eigene Klavier mit so unverschämter Leichtigkeit das ach so heile Eigenbild mal eben in Trümmer legt.
"Zur Lava, doch, natürlich", sage ich leicht erbost, weil ertappt, und viel zu stur, um das gut zu finden.
"Und warum", fragt Schimmel fröhlich weiter, dem es sichtlich Spaß macht, mich zu triezen, sein Ärger über die Unterbrechung längst verflogen. "Wenn du doch weißt, dass es nicht sonnvoll ist?"
"Weil ich Schwefelnochein auch nur ein Mensch bin, darum", sage ich, springe auf, tigere hin und her, wie es meine Art ist, wenn ich mich in Rage rede, "Weil ich manchmal auch hoffen möchte, dass ich mich irre, dass alles gut wird, oder vielleicht schon ist, dass manchmal eben doch aus aufgewärmter Pizza ein Vier-Sterne-Menü wird oder weil es mir der Mensch einfach wert ist, es zumindest zu versuchen, und weil, weil," sage ich, stocke, schaue Schimmel mit großen Augen an, der mich angrinst wie ein kleiner Junge, dem gerade ein besonders toller Streich mit einem Chinaböller und einem Pfurzkissen gelungen ist, setze mich wieder auf den Klaiverhocker, seufze. "Weil der Gedanke, es nicht probiert zu haben, keine zweite Chance genutzt oder erbeten oder auch nur erwogen zu haben schlimmer zu sein scheint als alles, was sie schlechtestenfalls bringen kann. Weil die Ungewissheit, ob es nicht doch, irgendwie, das Wahre war, das Herz nie loslässt, egal, was die Vernunft auch sagen mag."
"Nun," sagt Schimmel, "da ist sie, deine Antwort. Könnten wir uns jetzt wieder dem Spiel widmen?"
Das Spiel, denke ich bei mir, ja, das wäre so verkehrt nicht, und folge Schimmels weiß-schwarzen Tasten zu neuen Ufern.

--
May the Night bless You

Der NachtPoet
Stefan Brinkmann

www.nachtpoet.de
www.nightlypoem.de